Vielfältig, herausfordernd, naturnah: Faszination Telemark
Vielfältig, herausfordernd, naturnah: Faszination Telemark
Für einige ist es nur ein Punktegarant beim Skispringen, für Reiseliebhaber eine Region in Norwegen. Doch für eine ganze Reihe begeisterter Wintersportler ist das Telemarken die schönste Sportart im Schnee. Wir sprachen mit Christian Leicht, dem Telemark-Beauftragten des Deutschen Skiverbandes über die Faszination des Fahrens mit Kniefall und über seine Leidenschaft für diesen Sport.
DSV aktiv: Herr Leicht, Sie sind seit über 20 Jahren für und in diesem Sport im Einsatz. Was macht für Sie das Telemarken so faszinierend?
Christian Leicht (Telemark-Beauftragter des DSV): „In erster Linie die Vielfältigkeit. Telemarken bietet unter technischem Blickwinkel eine viel größere Bandbreite als das Alpinskifahren. Ich vergleiche das immer gerne mit einem Zahlenschloss. Wenn ich drei Nummern zur Verfügung habe, spiegelt das die Möglichkeiten im Alpinskifahren wider. Habe ich vier Nummern, entspricht das der technischen Vielfältigkeit des Telemarkens. Es ist wie ein Spiel: man „spielt“ mit den Möglichkeiten, den Ski auf Kante zu fahren. Mit einer Feinfühligkeit, die noch eine Spur intensiver ist als beim Alpinskifahren. Das Mehr an Möglichkeiten ist aber nur die eine Sache.“
DSV aktiv: Was macht es darüber hinaus so besonders für Sie?
Christian Leicht: „Die tiefere Position durch den „Kniefall“: die Telemarker sind näher am Schnee, eher „eins“ mit dem Element. Man fühlt den Schnee noch intensiver, saugt ihn förmlich ein – natürlich vor allem beim Tiefschneefahren.“
DSV aktiv: „Das Leben ist zu kurz für eine feste Bedingung“ – steckt hinter dem Telemarken auch eine bestimmte Philosophie? Tickt ein typischer Telemarker „anders“?
Christian Leicht: „Zu kurz oder zu schön – es gibt verschiedene Varianten auf Tshirts oder Aufklebern. Klar, die Sprüche spielen mit der Zweideutigkeit der festen Bindung. Die Telemark-Gemeinde, wenn man so will, setzt sich aus ganz unterschiedlichen „Typen“ zusammen – wie jede Sportart. Einige kamen zum Telemarken, weil sie sich von der Masse differenzieren wollten. Diese Motivation kann ja auch hinter dem Tourengehen, dem Alpinismus oder Trailrunning stecken. Andere suchen neue technische Herausforderungen. Das sind solche Typen, die nicht auf der Stelle stehen bleiben wollen, die eine hohe Selbstmotivation haben. Das ist sicherlich ein Merkmal, das unter den Telemarkern heraussticht.“
DSV aktiv: Sind die Telemarker eher im Gelände unterwegs als auf der Piste?
Christian Leicht: „Die Liebe zur Natur, zum Draußen Sein, ist ein weiteres typischen Merkmal. Ein großer Teil ist sicherlich offpiste orientiert. Sie suchen eine neue Herausforderung abseits des Massentourismus und der vollen Pisten. Dabei muss man aber international unterscheiden: In Deutschland wird das Telemarken dem Alpinskisport zugeordnet, wir „vergleichen“ es also mit dem Alpinfahren. In anderen Ländern, zum Beispiel den skandinavischen, ist es ein nordischer Sport, der sich aus dem Langlauf entwickelt hat. Die 75er-Normbindungen etwa sind die alten Langlaufbindungen. Der Zugang vom Langlauf zum Telemarken ist ein anderer als wenn der Sportler aus dem Alpinen kommt.“
DSV aktiv: Wie genau äußert sich das?
Christian Leicht: „Bei uns sind die Anwärter zum Telemark-Skilehrer in der Regel sehr gute Offpistefahrer, die das Gelände und seine „Freiheiten“ lieben. Sie kommen mit breiten Ski zu den Lehrgängen. Als ich auf einem Lehrgang in der Schweiz war, kamen die Teilnehmer hingegen eher mit kurzen, schmaleren „Slalomski“ und kamen damit auf den Pisten super zurecht. Das sind dann eher diejenigen, die das vielfältige Kantenspiel mögen. In Skandinavien wiederum gilt bereits als Telemarker, wer eine Telemarkbindung hat. Mit den neuen NTN-Bindungen kann man aber auch prima Alpinskifahren. Ursprünglich kommt das Telemarken daher, weitere Strecken im hügeligen Gelände zurückzulegen. Für die gelegentlichen Abfahrten braucht man eine gewisse Stabilität. Daraus hat sich das Material entwickelt. In Skandinavien ist das Telemarken weiter verbreitet. Bei uns gibt es nur wenige Aktive, die wiederum betreiben es meist auf einem höheren Niveau.“
DSV aktiv: Kann jeder das Telemarken ausprobieren oder braucht man gewisse Vorkenntnisse?
Christian Leicht: „Jeder kann das Telemarken problemlos erlernen. Nach drei halben Tagen bekommt man schon ein gutes Gefühl dafür. Halbe Tage deshalb, weil man einfach nach ein paar Stunden ziemlich k.o. ist. Es werden Muskelpartien beansprucht, von denen man zunächst wahrscheinlich gar nicht wusste, dass es sie gibt. Da wird der Körper schnell „sauer“. Generell ist eine gewisse Schneesporterfahrung natürlich sehr hilfreich. Deutlich einfacher ist es, es von einem erfahrenen Telemarker gezeigt zu bekommen. Das vereinfacht die Innen- und Außenansicht: Ein geübtes Auge erkennt, ob die Bewegung stimmt, auch wenn es der Neuling noch nicht selbst „spürt“ – oder eben andersrum.
DSV aktiv: Eine neue Ausrüstung kann schnell teuer werden. Können Ski und Schuhe auch an gängigen Verleihstationen geliehen werden?
Christian Leicht: „Es gibt die Telemark-Ausrüstung zwar nicht überall, aber mittlerweile doch recht häufig. In allen größeren Skiorten gibt es in der Regel ein, zwei Stationen, die Ski und Schuhe anbieten.“
DSV aktiv: Kann ich rein theoretisch mit meiner Skitourenausrüstung, die ja eben auch im Fersenbereich frei ist, das Telemarken ausprobieren?
Christian Leicht: „Theoretisch schon, das macht die Bindung aber nicht lange mit. Für diese Beanspruchung sind Skitourenbindungen nicht ausgelegt. Der „Knickpunkt“ ist anders als beim Telemarken: beim Telemark ist er dort, wo die Zehen beginnen, bei der Tourenbindung weiter vorne. Außerdem hat der Telemark-Schuh eine Falte am Spann, am Übergang zu den Zehen. Mittlerweile haben das zwar auch einige Tourenschuhe, allerdings sind sie trotzdem nicht unbedingt für die Funktion ausgelegt.“
DSV aktiv: Ende März (27.-31.3.) lockt das Telemark Event in Rietzlern wieder eine große Fangemeinde ins Kleinwalsertal. Würden Sie sagen, Telemarken wird immer beliebter?
Christian Leicht: „Vor ein paar Jahren hätte ich das sicher gesagt. Jetzt würde ich eher behaupten, es hat sich als eine weitere bereichernde Schneesportart etabliert. Diejenigen, die ein Auge dafür haben, sehen in jedem Skigebiet Telemarker. Das ist ein bisschen so wie mit dem neuen Auto: auf einmal fährt überall „dein“ Automodell herum.
DSV aktiv: Wie sind Sie persönlich zum Telemarken gekommen?
Christian Leicht: „Bei einem Norwegen-Trip mit Freunden 1995 haben wir viele Telemarker gesehen und wollten es selbst ausprobieren. Das war damals noch auf bereiteren Langlaufski mit Stahlkante. Als Skilehrer in Frankreich bin ich dann beim Variantenfahren in Chamonix wieder damit in Berührung gekommen. Damals sind zwei Schweizer mit Telemark-Ski die schwierigsten Offpiste-Passagen am Y-Couloir der Aiguille d'Argentière (3.901m) gefahren. Und das mit einer damals noch eher labilen Bindung. Die technische Komponente fand ich faszinierend: Welche Aktionen muss ich als Fahrer einleiten, damit der Ski seine Funktion ausfüllt oder verbessert? Wie kann ich die Fahrweise optimieren? Wie kann ich das Material optimal nutzen und einsetzen? So bin ich zum Sport gekommen und bin bis heute begeistert.“
DSV aktiv: Deutsche Telemarker sind auch auf den vorderen Rängen im Telemark-Weltcup unterwegs. Warum sind sie aktuell so erfolgreich?
Christian Leicht: „Wir haben aktuell das Glück, gute Aktive zu haben. Daran können sich auch junge Fahrer orientieren und sich entsprechend weiterentwickeln. Es gab aber auch viele Jahre, in denen wir die deutsche Hymne kaum gehört haben. Mit Tobias Müller, der jetzt im Ski-Cross-Nationalteam fährt, hatten wir erstmals einen richtigen Siegfahrer, wie es heuer Johanna Holzmann oder Jonas Schmid sind. Der Sport hat sich enorm entwickelt. Die Leistungsdichte nimmt immer mehr zu. Diejenigen, die es semiprofessionell betreiben, machen dies auf hohem Niveau. Eine breite Masse an Nachwuchsfahrern haben wir leider nicht. Es ist für viele Nationen eine große Herausforderung, talentierte Athleten zu finden und diese entsprechend zu fördern. Wir versuchen einerseits junge talentierte Telemarker an den Rennsport heranzuführen und andererseits sehen wir uns nach Interessenten bei den Alpin-Kollegen um. Letztere haben in der Regel schon eine gute skitechnische Ausbildung hinter sich, was von großem Vorteil ist.“
DSV aktiv: Vielen Dank für das Gespräch.
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